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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Septemberheft
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Schuchhardt, Carl: Die Keramilk von Susa: eine Tierornament-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0008

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metrischen Figur verzerrt worden sein. „La plupart des
motifs, sagt de Morgan, „sont dus ä la stylisation de
figures copiant la nature, et cette stylisation est parfois
si avancee qu’il ne nous est plus possible de reconnaitre
les formes du modele primitif.“ Er meint, die ersten
Bemaler dieser Gefäße hätten ebenso naturgetreue Bilder
geliefert, wie die Künstler in den paläolithischen Höhlen,
dann habe aber ein folgender Künstler, der ihre Gefäß-

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1. Kleine Tongefäße von Susa.

bilder kopierte und nicht mehr die Natur selbst, die
Darstellung vereinfacht, „et les generations se succ£dant,
le motif s’Goigna de plus en plus du sujet, jusqu’ä
devenir meconnaissable pour l’artiste lui-meme“. Daß
de Morgan, der Geologe, so etwas schreibt, nimmt viel-
leicht nicht Wunder, aber auch Pottier, der gewiegte
Archäologe, der in seinem prächtigen Vasenkatalog des
Louvre noch den Standpunkt vertrat: „les premiers

e!6ments du dessin ne sont pas dus ä Limitation de la
nature“ — auch Pottier bekennt, daß ihn Breuil mit
seinem Hinweis auf die abgekürzten Tierdarstellungen
im Paläolithikum bekehrt habe. Grade an den einfachen
Vertikalstrichen und den langhalsigen Vögeln, die wir
oben schon erwähnten (vgl. unsre Abb. 2), exemplifiziert
er seine Auffassung (Delegation en Perse, Bd. XIII, S. 40):
„Nous ne pourrions jamais croire, si
nous n’avions pas les interm£diaires
sous les yeux, qu’une Serie de baguettes
paralleles, tracees sur le haut d’un
gobelet, representent des oiseaux d’eau.

Pourtant la metamorphose s’accomplit
devant nous: le corps se brise en trois
traits, puis en deux, puis se r£duit ä
un; enfin la tete elle-meme disparait
et il ne reste plus qu’une ligne droite“.

Wie falsch, wie abschreckend falsch ist
solch eine Auffassung!

Spitzfindigkeit, Tüftelei haben wieder
einmal den gesunden Menschenverstand
betrogen. Mit lauter Einzelheiten hat
man sich beschäftigt und den Blick
aufs Ganze verloren.

Man braucht nur ein paar der
schönen Susa-Gefäße genau anzusehen
und man wird sie leicht und einfach
verstehen. Der alte Georges Perrot mit seinem unbe-
stechlichen Wirklichkeitssinn hat, als schon alles über
Sempers Stilideen hinaus war und Symmetrie und
Rhythmus „als ein dem Menschen eingeborenes,
immanentes Postulat alles dekorativen Kunstschaffens von
Anbeginn“ erachtete (Alois Riegl, Stilfragen 1893, S. 40),

das allein Richtige für diese Dinge hochgehalten: aus
den Techniken des Webers und des Korbflechters und
nachher auch des Metallarbeiters bezieht die Linear-
Keramik all ihre Ziermotive: „les industries de la tresse,
du tissu et du metal ont suffi ä fournir au peintre
ceramiste ä peu pres tous les motifs qui lui ont servi ä
decorer ceux de ses vases dans lesquels l’ornament reste
purement lin£aire“ (Histoire de l’art VII, 1898, S. 187, 190).
Es ist dasselbe, was Conze schon 1870/71 gesagt hatte,
was Kekul£ dann 1890 einer ungläubigen Hörerschaft
wiederholte, und was ich 1905, 1908 und 1919 (Alteuropa,
S. 106) an unserer ältesten norddeutschen Keramik, den
reichverzierten Gefäßen aus den Magalithgräbern der
Steinzeit dargelegt habe, freilich immer so zu
verstehen, wie es auch Conze nach den Worten eines
Freundes (Richard Schöne) schon angegeben hat: „Der
kindliche Anfang ist nicht, sich vor einen Gegenstand
hinzusetzen und ihn abzubilden, sondern die in der
Phantasie lebende Vorstellung eines Gegenstandes oder
einer Handlung aufzuzeichnen“.

Man fasse unter diesem Gesichtspunkte die Susa-
Gefäße ins Auge. Was man von ihnen, ebenso wie von
den Magalithgefäßen zu rühmen pflegt, daß die Haupt-
linien der Verzierung mit so sicherem Geschmack an
ihre Stelle gesetzt seien und dadurch einen ganz festen
Stil ergeben, erklärt sich eben aus der ideellen Nach-
ahmung einer wirklichen Technik. Die kleinen Vasen,
die Becher, die Schüsseln zeigen in ihren führenden
Zügen alle die Struktur der Korbflechterei Bei den
Vasen (Abb. 1) laufen die stärksten Bänder um den oberen
Rand und um den Bauchknick. Auf der Zwischenfläche
stehen einmal fest durchgeführte senkrechte Striche, an
die leichter gehaltene wagerechte ansetzen, ein andermal
ganze Bündel von Fäden, die im Dreiecksmuster über-

ff


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a

2. Becher von Susa.

einanderlaufen. Bei den Bechern ist der obere Rand
am widerstandsfähigsten gestaltet (Abb. 2). Er ist von
einem breiten Bande umgeben, zwischen dessen oberem
und unterem Saum dünne senkrechte Fäden dicht
gereiht sind. Die weite Fläche unter diesem Bande
wird nur von wenigen Linien senkrecht oder im Zickzack

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